Rasende Raubkatze – 25 Jahre Jaguar XJ220

Gaydon – Bugatti baut einen Gran Turismo mit 1103 kW/1500 PS, McLaren plant einen neuen Überflieger im Geist des F1, und bei Aston Martin und Mercedes-Ableger AMG gibt es demnächst Formel-1-Autos mit Straßenzulassung.

Wer dieses Wettrüsten der Supersportwagen für eine neue Erscheinung hält, den belehrt ein Blick zurück eines Besseren. Denn schon vor rund 30 Jahren hatten Supersportwagen eine Hochzeit. Die Vernunft war nach dem Ende der Ölkrise vorübergehend außer Kraft gesetzt. Nur die Protagonisten waren damals andere: Porsche 959, Ferrari F40 und Lamborghini Diablo lösten bei Schnellfahrern Schnappatmung aus.

Auch ein gewisser Jim Randle konnte sich dem Reiz des Rasens offenbar nicht entziehen. Als Vollgasfetischist und Entwicklungschef bei Jaguar hatt er ein Projekt durchgeboxt, mit dem die Raubkatze in diesem Rennen die Nase vorne haben sollte: Den XJ220, der 1988 zum ersten mal als Studie präsentiert wurde und vor exakt 25 Jahren 1992 auf die Straße kam.

Der Name war Programm, sagt Jaguar-Sprecherin Andrea Leitner-Garnell: Wie bei früheren Sportwagen aus Coventry stand die «220» für die angestrebte Höchstgeschwindigkeit von 220 Meilen pro Stunde, was rund 350 km/h entspricht. Und auf abgesperrten Testgeländen haben die Werksfahrer bewiesen, dass er seinen Namen zu Recht trägt. 1991 erreichte der Rennfahrer Andy Wallace auf der Firestone-Testbahn in Fort Stockton (Texas) eine Spitzengeschwindigkeit von 341,6 km/h. «Und im italienischen Nardò steigerte Martin Brundle dann im Jahr darauf diesen Wert auf 349,4 km/h». Das stempelte den XJ220 endgültig zum damals schnellsten Straßenfahrzeug der Welt.

Dass von den ursprünglich 350 geplanten Exemplaren binnen zwei Jahren trotzdem nur rund 280 gebaut wurden, mag zum einen am Grundpreis von über einer Million D-Mark gelegen haben, der den Kreis der Käufer auf Stars wie Elton John und Superreiche wie den Sultan von Brunei reduzierte. Aber auch daran, dass sich der Sportler im Lauf seiner langen Entwicklung gravierend verändert hat. Denn auf der British Motorshow in Birmingham stand die Flunder noch als fünf Meter lange Studie mit Scherentüren wie bei Lamborghini und einem unter Glas drapierten V12-Motor mit 6,2 Litern Hubraum und 388 kW/527 PS.

Auf dem Weg in die Serie ist das Coupé rund 25 Zentimeter kürzer geworden, hat normale Türen bekommen, nur noch Heck- statt Allradantrieb und obendrein noch sechs Zylinder verloren. Der 3,5 Liter große Bi-Turbo war mit 399 kW/542 PS zwar stärker als der Zwölfzylinder, hatte aber offenbar weniger Faszinationspotenzial.

Jaguar rechtfertigt die Änderungen mit mehr Leistung und rund 200 Kilo weniger Gewicht. Außerdem bekamen die mittlerweile an Ford verkauften Briten so die Kosten in den Griff und konnten das Projekt auch unter dem Dach der neuen Familie retten. Doch viele Kunden waren enttäuscht und versuchten, vom Kauf zurückzutreten. Dabei waren bei der Öffnung der Orderbücher noch über 1200 Bestellungen binnen weniger Tage eingegangen, so die Sprecherin. Doch Jaguar führt das auch auf äußere Umstände zurück: «Der Boom der Supersportwagen war wie eine Seifenblase zerplatzt», heißt es bei den Briten zur Entschuldigung. «Die künstlich hoch getriebenen Preise kollabierten, zahlreiche Spekulanten traten von ihren Kaufverträgen zurück.»

25 Jahre später sind das allerdings nur noch Fußnoten in der Geschichte und als PS-Petitessen vergessen. Spätestens dann, wenn man tatsächlich einmal einen XJ220 vor die Augen bekommt.

Ergibt sich dann die Chance auf eine Fahrt, ist die ganze Faszination von früher da, schon mit dem ersten Gasstoß: Nur sanft streichelt der Fuß das Gaspedal im engen Tunnel unter dem Lenkrad, schon hört man ein böses Fauchen aus dem Heck. Es rasselt, als schüttele jemand eine Ankerkette, und die Raubkatze schnellt davon, als gäbe es kein Morgen mehr. 3,7 Sekunden genügen, bis die 1370 Kilo leichte Aluflunder auf Tempo 100 ist. Und wäre sie nicht eine Rarität aus dem Werksmuseum – man würde am liebsten immer weiter beschleunigen und sehen, ob es der Wagen noch immer auf 350 km/h bringt und so gut mithalten könnte mit den Lamborghini, Ferrari und Porsche von heute.

Dabei fährt der XJ220 zwar wie ein Rennwagen. Doch innen gibt sich die Raubkatze als Schmusekater. Die Sessel sind aus dickem, weichem Leder und bequemer als daheim vor dem Fernseher. Die Klimaanlage trocknet schnell den Schweiß auf der Stirn. Das Glasdach gaukelt einem mehr Kopffreiheit vor, als bei einer Höhe von gerade einmal 1,14 Metern möglich ist. Selbst das Blechkleid ist lange nicht so wild und böse geschnitten wie bei den Italienern. Eher wie ein Earl in Eile als wie ein Kampfjet auf Rädern taucht die glatte Flunder unter dem Fahrtwind durch. Dabei wirken die Scheinwerfer mit den mechanischen Augenlidern heute fast schon ein bisschen antiquiert und der Spoiler auf dem Tafelberg von Heckdeckel ist kleiner als bei jedem halbwegs sportlichen Mittelklasse-Kombi von heute.

Während für Ferrari und Porsche aus jener Zeit mittlerweile siebenstellige Fantasiesummen bezahlt werden, gilt der XJ220 Experten wie der auf Supersportwagen spezialisierten Internet-Handelsplattform
Classic & Performance Car als hoffnungslos unterbewertet. «Wenn man seine ausgezeichnete Herkunft berücksichtigt, ist er ziemlich erschwinglich», schreiben sie in ihrer Kaufberatung. «Zwar sind die Preise angestiegen, doch man bekommt ein gutes Auto noch immer für weniger als 500 000 Euro.» Ein Bruchteil dessen, was man für andere Supersportwagen jener Zeit bezahle.

Für Sammler mag das ein Fluch sein, für Fans ist es ein Segen. Zumal sich mittlerweile auch die neu gegründete Klassiksparte von Jaguar und Land Rover des Autos angenommen, die Ersatzteilversorgung verbessert und sogar noch einmal neue Reifen für den Renner aufgelegt hat. Denn das macht den Engländer zu einer der attraktiveren Alternativen im hoffnungslos überhitzten Markt der Überflieger.

Fotocredits: Jaguar/Land Rover,Jaguar/Land Rover,Jaguar/Land Rover,Jaguar/Land Rover,Jaguar/Land Rover
(dpa/tmn)

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